An das Jahr 2013 erinnern sich auch heute noch viele Menschen in Sachsen-Anhalt, als ob es gestern war: Ende Mai und Anfang Juni wird das Land – ebenso wie weitere Regionen vor allem im Osten und Süden Deutschlands – von einer Flut heimgesucht, wie es sie zuvor noch nie gegeben hat. Das Jahrhunderthochwasser stellt sogar die Flut im Jahr 2002 noch in den Schatten. Ein Rekordpegel jagt den nächsten: ein Wasserstand von 6,52 Meter an der Weißen Elster in Zeitz, 8,10 Meter an der Saale in Halle-Trotha, 7,48 Meter an der Elbe in der Landeshauptstadt Magdeburg.
Klausbrücke in Halle
An der Klausbrücke in Halle, wo an normalen Tagen viele Straßenbahnen unterwegs sind, versuchen Anwohner und freiwillige Helfer 2013, den Stadtteil Klaustorvorstadt vor den Fluten von Saale und Mühlgraben zu schützen. Letztlich müssen sie aufgeben. Die Wassermassen nehmen überhand.
Die Flut beginnt mit massiven, mehrtägigen Regenfällen. Der Mai 2013 wird zum niederschlagsreichsten Monat seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Die Folgen machen zunächst vor allem den Menschen im Süden Deutschlands zu schaffen. Die bayerische Drei-Flüsse-Stadt Passau meldet mit einem Pegel von 12,89 Metern den höchsten Wasserstand seit rund 500 Jahren. Land unter im Zentrum und in anderen Teilen der Stadt. Was genau da auf Sachsen-Anhalt zukommen wird, ahnt zunächst niemand.
Niegripp Schleuse
Der Schleppkahn „Olaf“ an der Schleuse in Niegripp, einem Ortsteil von Burg bei Magdeburg, wird 2013 von den Fluten weggespült. Mittlerweile steht das Schiff wieder, und dient Besuchern als Rastplatz.
Ende Mai treten auch hier die Flüsse über die Ufer. Die Saale überschwemmt Wiesen und Wege. Aus kleinen Flüssen wie der Wipper bei Wiederstedt im Landkreis Mansfeld-Südharz werden reißende Ströme. Erhöhte Alarmstufe auch an der Unstrut im Süden des Landes. Es ist erst der Anfang der Katastrophe. Die Pegel in Sachsen-Anhalt steigen.
Das Pretziener Wehr, das Schönebeck und Magdeburg vor Hochwasser schützen soll, wird geöffnet. In Bitterfeld evakuiert man ein Krankenhaus. Hunderte Menschen im Burgenlandkreis müssen ihr Zuhause verlassen und auf Notunterkünfte ausweichen. „Wir saufen ab“, meint Jens Züger aus Uichteritz bei Weißenfels, nachdem er in der Nacht gemeinsam mit seinem Nachbarn Sandsäcke befüllt hat.
Schönebeck Elbtor
Parkende Autos am Schönebecker Elbtor? Im Jahr 2013 ist das undenkbar. Der Pegel erreicht in der Stadt zeitweise eine Höhe von mehr als 7,50 Meter.
Halles kurz zuvor gewählter Oberbürgermeister Bernd Wiegand löst am 3. Juni den Katastrophenalarm aus. Die Fluten erreichen die Innenstadt, überspülen den Glauchaer Platz. Sportler, Feuerwehren und Technisches Hilfswerk müssen die Eissporthalle der Stadt aufgeben. Und auch am millionenteuren Multimediazentrum in der Mansfelder Straße ist das Wasser nicht mehr zu stoppen. Nicht weit entfernt versuchen Anwohner und Helfer in der Klaustorvorstadt dem Hochwasser von Saale und Mühlgraben die Stirn zu bieten. Bis in die Nacht hinein sind sie an und um die Klausbrücke im Einsatz. Doch schließlich müssen auch sie sich zurückziehen. Umliegende Keller und Tiefgaragen laufen voll. Sorgen gibt es auch um Halles größten Stadtteil Neustadt. 30.000 Menschen müssten evakuiert werden, sollte der schützende Damm brechen. Doch: Dank vieler helfender Hände hält er.
Magdeburg Buckau, Bleckenburgstraße
In der Bleckenburgstraße im Magdeburger Ortsteil Buckau sind die Anwohner per Auto, zu Fuß oder mit dem Fahrrad unterwegs. Während der Flut im Jahr 2013 ist das nicht möglich. Nur mit Booten geht es zu dieser Zeit voran.
In anderen Teilen des Landes spitzt sich die Situation weiterhin dramatisch zu; Land unter an der Elbe. Auch in einigen Teilen Magdeburgs geht es nun nur noch mit dem Boot voran. Teile der Lutherstadt Wittenberg werden geflutet. Ein Deich an der Schwarzen Elster bricht. Aken im Landkreis Anhalt-Bitterfeld und angrenzende Dörfer, die vom Hochwasser von Saale und Elbe bedroht sind, müssen geräumt werden. Fünf Menschen sterben in Sachsen-Anhalt im Zusammenhang mit der Flut.
Während Menschen in ganz Sachsen-Anhalt in Gefahr schweben, geht gleichzeitig eine Welle der Solidarität durch das Land. Überall finden sich freiwillige Helfer zusammen, unter ihnen auch viele Schüler und Studenten. Sie befüllen Sandsäcke, bauen provisorische Wälle und verhindern vielerorts noch schlimmere Schäden durch die Flut. Auch die sozialen Netzwerke entfalten ihr positives Potenzial: Hilferufe werden online abgesetzt, Freiwillige auf diesem Weg mobilisiert und organisiert. Lars und Isabell Pflieger aus Halle entwickeln eine clevere Idee zur Nutzung von Google Maps: Auf einer Landkarte bündeln sie die wichtigsten Informationen zur Flut und Möglichkeiten, wie man helfen kann. Gefährdungsbereiche, Notquartiere und Abfüllstationen für Sandsäcke – alles zentral einsehbar.
Dessau, Elbe Leopoldshafen
Der Start- und Zielturm am Dessauer Leopoldshafen ist Teil des Kornhauskurses, der ältesten aktiven Motorbootrennstrecke Deutschlands. Auch hier macht sich das Hochwasser der Elbe 2013 deutlich bemerkbar. Der kleine Rastplatz daneben versinkt fast in den Fluten.
Insgesamt 56 deutsche Landkreise lösen im Juni 2013 Katastrophenalarm aus. Neben vielen Freiwilligen vor Ort sind auch rund 82.000 Feuerwehrleute im Einsatz, ebenso wie 20.000 Bundeswehrsoldaten, 16.000 Kräfte des Technischen Hilfswerks und 13.000 Bundespolizisten.
Am 11. Juni sinkt der Pegelstand in Magdeburg. Die Auszahlung von Soforthilfen an die Flutgeschädigten beginnt. Wenig später verabschieden Bund und Länder ein Acht-Milliarden-Euro-Paket zur Beseitigung der Hochwasserschäden in Deutschland. Von allen Bundesländern hat die Flut Sachsen-Anhalt am schwersten getroffen. Rund 2,7 Milliarden Euro an Kosten hat das Hochwasser hier verursacht, das man mit Fug und Recht als Jahrhundertflut bezeichnen kann: Statistisch gesehen tritt ein Hochwasser dieser Intensität nämlich etwa einmal alle hundert Jahre auf.
Video-Galerie Jahrhundertflut 2013
Viele Schäden von damals sind heute, zehn Jahre später, repariert; einige Gebäude neu gebaut. Dazu gehört etwa das Planetarium auf der halleschen Peißnitzinsel, das der Flut zum Opfer gefallen ist. Das neue Planetarium ist das modernste in ganz Sachsen-Anhalt. Und auch eine Eissporthalle gibt es seit einigen Jahren wieder. Der Gimritzer Damm, der bei dem Hochwasser zu brechen drohte, ist mittlerweile erneuert und soll Halle-Neustadt in Zukunft besser schützen.
Daten und Fakten
5 Todesopfer
hat es im Zusammenhang mit dem Hochwasser 2013 gegeben; jeweils eine tote Person im Landkreis Anhalt-Bitterfeld, Landkreis Wittenberg und Landkreis Stendal sowie zwei tote Personen im Salzlandkreis.
63.000 Menschen
sind während der Flut 2013 in Sachsen-Anhalt evakuiert worden. Die meisten davon - nämlich 25.000 - in Anhalt-Bitterfeld sowie 20.000 in Magdeburg und dem Salzlandkreis.
21 Hochwasserwarnungen
sind zwischen Mai und Juni 2013 vom Landesbetrieb für Hochwasserschutz Sachsen-Anhalt verschickt worden.
85 Quadratkilometer Fläche
sind in Folge des Bruchs am Saaledeich am 10. Juni nahe Schönebeck überflutet worden. Das entspricht ungefähr der Größe der griechischen Insel Mykonos.
9,84 Meter
ist der bei der Flut 2013 höchste gemessene Pegelstand der Elbe in Sachsen-Anhalt. Dieser Wert wurde bei Niegripp erreicht. Zum Vergleich: Der Normalpegel liegt hier bei 3,38 Metern. Beim Hochwasser 2002 stieg das Wasser „nur“ auf 9,21 Meter.
793.576.922 Euro
sind zwischen 2013 und September 2022 in ganz Sachsen-Anhalt in die Verbesserung des Hochwasser-Schutzes geflossen. Zu den Maßnahmen zählen zum Beispiel Deichrückverlegungen, Deichbau und -sanierungen.
Um fast 2 Meter
ist der maximal erlaubte Beckenpegel des Muldestausees am 6. Juni bei der Flut 2013 überschritten worden. Ursache waren immense Zuflüsse. Es ist damit einer der wenigen Stauseen in Sachsen-Anhalt, die über den Vollstau hinaus gefüllt waren.
2.300.979.270 Euro
hat das Land Sachsen-Anhalt insgesamt seit 2013 an Hochwasserhilfen bereitgestellt. Doch nur rund 85 Prozent davon sind bis heute abgerufen worden.
Mit 8,16 Meter
erreichte die Saale in Halle-Trotha am 5. Juni 2013 ihren Höchststand. Das liegt 6,21 Meter über dem Mittelwert des Pegels von 1,95 Metern.